Les ruisselantes

Les Ruisselantes ist ein Tableau vivant einer weiblichen Figur: Das Bild eines im Regen zitternden Körpers, einer sich zersetzenden Statuette, einer Puppe vielleicht auch oder einer Göttin, die sich in einer apokalyptischen Landschaft abzeichnet, in der nur das Rauschen des Wassers erklingt.
Der Zuschauer sieht eine 16,47 Minuten lange Film-Performance, in der Wasser und Erde vereint sind und in der sich eine in Schlamm und Flüssigkeit getauchte Figur sanft hin- und herbewegt. Nour Awada hielt sich 2011 im Rahmen eines Künstleraufenthalts – mit dem Kollektiv le degré 7 – im Amazonasgebiet auf. Daraus entstand Les Ruisselantes . Während dieser Erfahrung bei den örtlichen Töpfern erlebte sie den heiligen Gebrauch der Erde, den Prozess des Suchens nach ihr in den Lagerstätten und wurde sich ihrer Kostbarkeit bewusst. Es ist notwendig, in der Stille zu sein, um sie in sich aufzunehmen. Ein Ritus an sich, ist diese Erfahrung von Geste und Kreation ein vorbereitendes Moment in ihrer Arbeit.
Les Ruisselantes wurde auf einem Feld in Nordfrankreich unter freiem Himmel gedreht. Aus dem Grundwasserspiegel schöpfend und diesen Körper bei unter 5 Grad Wassertemperatur auf die Probe stellend, wird sowohl ein Ritus der Reinigung, aber vor allem ein Übergangsritus betont: Nour Awada geht an die Grenzen ihres Körpers, als individuelle Kunstschaffende und als Künstlerin, sie entwickelt sich von einer jungen Kunstabsolventin zu einer selbstbewussteren, emanzipierteren Künstlerin. Les Ruisselantes ist das grundlegende Werk für alles, was in ihrer Karriere folgen wird.
Die Performance, die sie seither regelmäßig praktiziert – und für die sie ein seltenes Forschungslabor (LAP, Laboratoire des arts de la performance) eingerichtet hat – ist eines ihrer bevorzugten kreativen Werkzeuge.  Das Streben nach körperlicher Erschöpfung ermöglicht einen Zustand, der zu einer stärkeren Wahrheit, zu einer verschärften Realität führt. Es ist auch eine Vereinigung mit der Öffentlichkeit.
Die Figur des Weiblichen und die religiöse Ekstase, die Form der contorsion, der Verrenkung, in der Kunstgeschichte, sind die aktuellen Forschungsthemen der Künstlerin. Sie erscheinen als die natürliche Fortsetzung der spirituellen und mythologischen Erforschung, die Nour Awada unternommen hat.

Nour Awada

Inspiriert durch die doppelte Kultur, der libanesischen und der französischen, studierte Nour Awada Bildhauerei an den Beaux-Arts de Paris, wo sie 2012 ihren Abschluss machte. Aufgewachsen in einer progressiven Familie, zwischen Beirut und Paris, mit einem zutiefst feministischen Vater, beschäftigt sich die Künstlerin intensiv mit dem weiblichen Körper: einem Körper, der mit dem Widerspruch von Tradition vs. Hypermoderne in der arabischen Kultur und den daraus entstehenden Identitätskonflikten konfrontiert ist. Ob als Skulptur (Glory Hole II – 2012, the relics of the blue beard – 2016, The sleeping woman – 2018…) oder als Film (blue – 2015, black – 2015…), die Frau steht seit etwa zehn Jahren im Mittelpunkt ihrer Arbeit und wird in Fragmenten oder als Ganzes gezeigt.